10.09.2017 - Im Scoresbysund
Es ist ungefähr 06:00 Uhr morgens, auf dem Schiff herrscht absolute Ruhe. Niemand ist auf den Beinen, bis auf mich. Die Fram hat die Nacht auf Position verbracht, also stehend mitten im Fjord. Die Szenerie ist so verführerisch, dass es mich nicht im Bett hält. Dieser Morgen gehört zu den Schönsten meines Lebens. Die Ruhe, es geht weder ein Windhauch noch hört man irgendein Geräusch außer dem leisen Summen der Schiffsmaschine und das Glucksen des Wassers am Rumpf. Hinter den Bergen leuchtet das Morgenlicht und die Sonne klettert empor. Im Dämmerlicht bilden die Kontraste zwischen Schiffsbeleuchtung und dem natürlichen Licht soviel Motive schönster Art, dass ich mit dem Fotografieren nicht aufhören kann.
Was für ein Gefühl. Man streift völlig alleine durch das Schiff, dass völlig verlassen wirkt. Man trifft keine einzige Menschenseele um diese Uhrzeit. Man kann in Ruhe seine Fotos machen. So wie hier in der Observation Lounge ganz oben, wo man einen unglaublichen Blick auf das Szenario draußen hat.
Die Sonne arbeitet sich langsam nach oben, leuchtet in beinahe schon unnatürlich warmen Licht die schneebedeckten Berge an, während das Wasser im Fjord noch in seinen kühlen Blau im Schatten liegt. Das Fotografenherz klopft bis zum Hals, diese Bühne ist einfach unglaublich.
Jede Sekunde wechselt das Programm. Die Farben verändern sich und jedes Mal wechselt das erste OH das nächste AH ab. Langsam erwacht das Schiff, die ersten verschlafenen Gesichter tauchen auf und genießen das Panorama. 360°C um uns herum.
An der zweiten Station des Tages wurde durch die Expeditionscrew der erste Kayak-Ausflug gestartet. War ich anfangs noch skeptisch, die dafür geforderten rund 100 Euro zu zahlen, machte das Panorama die Entscheidung für eine spätere Tour leicht. Mit dem Kayak durch Grönland, nahezu lautlos paddelnd an Eisbrocken vorbei oder drüber weg? Warum habe ich eigentlich überlegt?
Die Ausflüge sind immer gut organisiert. Die Kayaks werden mit Booten an Land gebracht, während sich die Gruppe im Schiff mit entsprechendem Equipment auf den Trip vorbereitet. Also Anzüge aus Neopren, Stiefel, Handschuhe - alles was man braucht, um beim Umkippen in arktischen Gewässern nicht zu Schaden zu kommen.
Mit Worten kann man das kaum beschreiben. Dieses unglaubliche Panorama, dass den Augen irgendwie in jeder Himmelsrichtung neu schmeichelt. Auf die Gefahr, sich zu wiederholen. Man muss sich immer wieder kneifen, weil die Szenerie so unwirklich erscheint. Wenn man sich vor Augen führt, in welch abgelegenem Teil des Planeten man gerade auf einer Anhöhe steht, mitten im Nirgendwo und viele hundert Kilometer weit von dem, was wir als "Zivilisation" kennen entfernt, dann bemerkt man, wie privilegiert man an dieser Stelle ist. Es ist ein magischer Ort, auf diesem kargen Stück Erde runter in den sonnendurchfluteten Fjord zu sehen und dort unten die Fram zu sehen.
Es erweist sich als Segen, zwischendurch gelegentlich mit dem Smartphone zu fotografieren. Unsere Kameras haben noch keine GPS-Speicherung. Durch die vielen Tage und trotz Mitlaufen eines GPS-Navigationsgerätes verschwimmen die Örtlichkeiten und Anlandungen untereinander. So manches Mal ist eine klare Zuordnung schwierig. Dank der Smartphonebilder jedoch ist die Position exakt festgehalten und der Ort der Entstehung ist links in der Karte markiert.
Wie bei jeder Anlandung ist die Zeit insgesamt überschaubar, die zur Verfügung steht. Auch hier waren es knappe 90 Minuten + ein bisschen Überziehen. Dafür war man hier aber recht frei unterwegs, da die karge und übersichtliche Steinwüste keine Überraschungen ala Moschusochsen oder Eisbären erwarten ließ. An diesem Flecken Erde toben sich die Elemente so richtig aus. Man kann ungefähr erahnen, was im Frühjahr an Schmelzwasser in diesem Fluss hinab in Richtung Fjord schießt, wenn man sich die tiefen Eingrabungen und Steinverlagerungen anschaut. Zwischendurch finden sich immer wieder Fleckchen, an denen sich eine einsame Pflanze für hiesige Verhältnisse sogar recht üppig entwickelt und den kurzen Vegetationszeitraum zu nutzen versteht. Irgendwie sieht hier in Grönland einfach alles irgendwie dekorativ und schön aus, als wolle es den kurzen Moment wenigstens nutzen, an dem dieser Ort nicht so lebensfeindlich ist.