Tag 10 - Longyearbyen, Spitzbergen

Es gibt sie, diese Tage. Tage, an denen irgendwie alles perfekt zusammenpasst. Sich ineinanderfügt ohne Naht. So ein Tag wie dieser. Ich war schon früh auf den Beinen, die Erwartungen an Spitzbergen waren einfach zu groß - und damit eben  auch die Aufregung. Es war der Blick aus dem Fenster, der mich sofort an Deck getrieben hatte. Was für ein unglaubliches Panorama. Zum Licht in diesen Breiten hatte ich schon was geschrieben. Es ist das schönste Licht der Welt, das"Nordlicht", wie ich es nenne. Das kann nur verstehen, wer es einmal erlebt hat. Diese Wärme, diese Intensität, diese Farbenlust und Farbenpracht. Und gegen dieses warme Licht steht im Kontrast das eiskalte Spitzbergen mit seinen verschneiten Bergen. Wieviel mehr darf man von der Anfahrt auf Spitzbergen erwarten als das?

Die Augen können sich nicht satt sehen. Dieses Panorama ist wirklich unerreicht und man sieht es auf dem Bild...die meisten Passagiere schlafen. Ich habe das Bootsdeck 5 mit seinen weitläufigen Arealen fast für mich alleine. Nur wenige Mitfahrer gucken wie wir fasziniert in diese fremde Welt, die heute wirklich alles ausgepackt hat, was möglich ist. Es ist für mich kaum zu glauben, diese Einsamkeit. Kaum jemand bemerkt diesen Augenblick, es ist auf diesen Bildern 05:11 Uhr morgens und ich bin noch immer alleine.

Das war schon ganz großes Kino. Und immer, wenn man gerade so richtig angekommen ist mit dem Blick - zack, das nächste Highlight. Wale. Eigentlich  rundherum waren immer wieder, in größerer Entfernung, die Fontänen von Walen zu sehen. Mal hier, mal dort, aber immer wieder. Der ganze Ozean hier muss ein Quell des Lebens sein. Natürlich ist die Arktis der angestammte Lebensraum vieler Großwale, aber es ist trotzdem eine wundervolle Überraschung, sie zu sehen. Und wie ich in späteren Gesprächen noch feststellen sollte, hat kaum jemand anderes sie gesehen. Niemand konnte sich vorstellen, dass man Wale vom Schiff aus auf diese Weise erspähen kann. Was anderes haben früher die alten Walfänger auch nicht gemacht, denn ihre friedfertige Unbekümmertheit verbunden mit dem -dank auch des besonderen Lichtes hier- weithin sichtbaren Blas ist sehr verräterisch. Bei typischem Mittagslicht, dass steil von oben kommt, würde man eine solche Fontäne schnell übersehen. Doch hier kommt das Licht von der Seite, wie bei uns das Abendlicht. Dadurch heben sich derartige Kontraste vor dem dunklen Hintergrund maximal ab. Gut für mich ;-)

Wenn ein Tag so anfängt, was will man dann noch erwarten. Mehr geht doch gar nicht. Oder? Wir waren in Spitzbergen. So mancher, auch in der eigenen Familie hält uns schon ein bisschen für bescheuert, im Mai statt mit dem Schiff in die Wärme nach Mallorca oder auf die Kanaran zu schippern, den hohen Norden auszuwählen. Das kann sicherlich nicht jeder verstehen, aber wir sind eben absolute Fans des Nordes. Die Urigkeit, die Unberührtheit, das Licht, die Luft, die Temperaturen. Was ist aber an Spitzbergen das Besondere?

Viele Menschen verbinden mit Norden, Eis, brutaler Natur und Zivilisationsferne z.B. Alaska. Der "hohe Norden" wird häufig mit Alaska assoziert. Point Barrow als nördlicher Zipfel Alaskas liegt auf 71° Nördlicher Breite. Der südlichste (!) Zipfel Spitzbergens fängt gerade einmal bei 76° an. Es liegen also fünf Breitengrade Richtung Norden zwischen dem Ende Alaskas und dem Anfang Spitzbergens. Longyearbyen liegt auf 78° Nördlicher Breite und wenn man auf dem 78° Breitengrad um die Erde schaut. Da gibts außer einer weiteren Inselgruppe vor Russland als Sperrgebiet, ein bisschen Grönland und die Kanadischen Provinzen nichts anderes. So hoch nördlich zu kommen, wird damit zum absoluten Privileg.

Da sind wir nun, in Spitzbergen. Oder Svalbard, wie die Insel auf norwegisch heißt. Was tut man da? Wir wussten es vorher auch nicht wirklich. Direkt vor dem Schiff war ein großes Zelt mit Touri-Infos. Und was gabs da? Mietwagen :-) Wir haben uns also spontan ein Auto gemietet und sind in Spitzbergen ein bisschen herumgefahren. Das ist ungemein praktisch, die Distanzen von einem Ende zum Anderen sind so, dass man es fußläufig nicht schafft. Eine geniale Idee :-) Auch hier ist das wieder ein absolutes Privileg, denn wer kann schon sagen, in Longyearbyen alle Straßen abgefahren zu sein.

Longyearbyen hat fast ausschließlich unbefestigte Schotterstraßen. Ein Allrad-Fahrzeug ist da angebracht, jedoch dürfte es hier auf Spitzbergen sowieso nichts anderes geben. Auch unser Toyota, auch wenn es ein Minibus war, hatte Allradantrieb.

Da der Hafen ein Stück westlich vom Ortskern weg liegt, muss man etwas laufen. Man kann aber auch Hundeschlitten mieten oder mit dem Mietwagen den Ort und die nahen Außenbereiche erkunden.

Wie immer waren wir bestrebt, die Zeit möglichst effektiv zu nutzen. Also entschieden wir uns zunächst, nach Osten raus so weit zu fahren, wie es geht . Auf dem Berg steht das EISCAT-Radar, da wollten wir hin. Aber weiter als auf dem Bild kamen wir nicht, weil gerade Schnee beräumt wurde. Das machte aber rein gar nichts, denn die Fahrt, u.a. über ziemlich enge und aufgrund des Belages rutschige Serpentinen wurde mit einem herrlichen Panorama belohnt. Longyearbyen von oben.

Was für ein Kontrast zu unserer Welt. Man fährt Serpentinen und ziemlich steile Strecken, die mit Schotter befestigt sind. Hinter der nächten Kurve steht ein Gerüst, an dem drei Kegelrobbenfelle zum Trocknen aufgehängt sind. Über allem strahlt die gleißend helle Sonne, die von dem noch üppig vorhandenen Schnee nochmals intensiv reflektiert wird und die ganze Szenerie in ein extrem kontrastreiches Licht taucht.

Wie wir später erfuhren, war der Tag unseres Besuches der erste Tag des Jahres 2017 (Ende Mai...) mit gutem Wetter. Zwei Tage vorher hatte es noch Schneesturm gegeben, dicke Wolken und Nebel. Wie unterschiedlich der Eindruck dieses Flecken Erde sein würde, hätten wir nur sehr schlechtes Wetter mit eingeschränkter Sicht und grau in grau, läßt sich nur ungefähr erahnen. Aber angesicht der Beschreibung kann man mit Fug und Recht sagen, dass wir wieder einmal einfach nur richtig Glück hatten.

Ein paar Steine in die reichlich vorhandenen Pfützen werfen, dass muss immer sein. Man braucht kein bisschen Spielzeug auf so einem Ausflug. Nur ein bisschen Geduld.

Nachdem wir an der Ostseite fertig waren, durchquerten wir Longyearbyen wieder um auf die Westseite zu gelangen. Dort warteten schon die AIDA-Busse, die die Gäste zum Ausflugspunkt brachten

Dem "Global Seed Vault", dem globalen Saatgutspeicher. Den kennt man sogar aus den Medien. Hier sind abertausende Samen von Pflanzen gesichert, um im Katastrophenfalle nicht  verloren zu gehen.

Spitzbergen wurde aufgrund seiner Abgeschiedenheit ausgewählt. Im Falle eines atomaren Konfliktes auf der Welt geht man davon aus, dass hier noch am ehesten auf 78°N die Chance besteht, dass tief im Felsen die Samen überdauern würden und künftigen Generationen erhielten blieben. Allerdings macht der Klimawandeln hier große Probleme, die Anlage ist in den Permafrostboden gebaut. Dieser taut jedoch Jahr um Jahr tiefer auf. Das Gebilde nimmt davon großen Schaden, der gegenwärtig aufwendig saniert werden muss. Dennoch ein bemerkenswertes und spannendes Projekt.

Nach Spitzbergen kommt man mit dem Flieger von Oslo relativ einfach, sogar preiswert. Die Flüge sind subventioniert von der norwegischen Regierung. Das muss ein traumhafter Anflug im Cockpit sein.

Nachdem wir feststellten, dass wir bei einem Fotostop unsere Coloura an einem Schild vergessen hatten, fuhren wir die ganze Strecke Richtung Osten auf den Berg zurück. Das waren 30km Fahrweg hin und zurück. Also die volle Longyearbyen Erfahrung. Und zum Glück hing sie auch noch da, so dass wir vollzählig den Rückweg antreten konnten.

Das Auto hatten wir nur für vier Stunden gebucht, so dass wir rechtzeitig wieder am Schiff waren. Den Rest der Zeit verbrachten wir im Ort, wo es u.a. auch ein sehr feines Cafe mit WLAN gab. Ein paar Dinge schafften wir zeitlich nicht mehr, aber wir haben wohl von allen Passagieren unseres Schiffes die verfügbare Zeit am Besten genutzt. Zum Schluss noch ein bisschen "Steine werfen" mit AIDA im Hintergrund und dann ging es zurück aufs Schiff. Das war der Landteil von Spitzbergen. Aber die Erfahrung war noch lange nicht vorbei.

So spektakulär wie der Morgen begann, der Aufenthalt an sich war, so war auch die Abfahrt. Eine Traumkulisse. Die Fahrt ging wieder los, im Isfjord an Barentsburg vorbei zurück aufs offene Meer. Ab jetzt war Kurs Richtung Süden angesagt. Die hohen Berge im Fjord sollten für den Reiseverlauf noch eine interessante Rolle spielen, dazu später jedoch mehr. 

Jetzt war bei angenehmen Außentemperaturen ein Aufenthalt an Deck quasi Pflicht. Die Decks waren voll und die Leute schnappten alle noch ein paar Atemzüge Polarluft. Die Fahrt ist einfach wunderschön und unübertroffen. Für uns stand fest, dass wir nicht das letzte Mal hier waren.